Grönländische Anteile

Der November macht mir jedes Jahr zu schaffen – grau und kalt, dunkel und nass.

In der Kirche ist die Novemberzeit eine besondere. Wir erlauben uns etwas, was fast nicht sein darf: Wir reden von Scheitern und Schuld (Buß- und Bettag). Wir denken an die Opfer von Krieg und Gewalt (Volkstrauertag). Wir weinen und trauern um unsere Verstorbenen (Totensonntag). Wer es zulassen will, den nehmen die Liturgien der letzten Tage im Kirchenjahr mit in die Tiefen unseres Daseins: Angst, Schuld und Tod.

In dem Buch „Fräulein Smillas Gespür für Schnee“ beschreibt die Ich-Erzählerin, wie sie damit umgeht, wenn die Depression kommt. „Ich nehme den grönländischen Weg. Der besteht darin, dass man in das dunkle Loch hineingeht.“ Smilla schaltet den Strom ab, zieht den Telefonstecker, schließt die Tür und setzt sich allein und still hin. Sie kann das, weil „ich weiß, dass im Tunnel ein kleiner Lichtpunkt ist.“

Wenn ich das Kirchenjahr als therapeutischen Weg betrachte, hat es wohl grönländische Anteile. Wir steigen hinab und verweilen. Wo ist der Lichtpunkt?

Die alten Texte der Bibel, die Liturgien, die Lieder geben den Schmerzen einen Raum. Trauer, Zorn, Hilflosigkeit – es darf sein, was ist. Ich darf sein im Raum Gottes. Gott ist in Jesus Christus ins Grab und hinab in die Hölle gestiegen. Tiefer geht nicht. Ich verstehe oft nicht, warum Gott nicht anders eingreift. Aber er ist da und hält und hält aus. Uns alle. In diesem Raum, wo sein darf, was ist, kann ein Stück Ruhe gewonnen werden. Und Hoffnung. Die brauchen wir dringend. Wo Ruhe eintritt, verliert die Angst. Und funkelt ein kleiner Lichtpunkt.

Ihre Daniela Hammelsbeck, Pfarrerin

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