Was haben wir nötig?

Wenn mich jemand fragen würde, was ich jetzt, im August 2020, am dringendsten brauche, liegt die Antwort auf der Hand. Sie fällt mir auch sofort ein. Urlaub. Abstand vom Gewohnten. Etwas anderes sehen und erleben. Andere Menschen, andere Länder, andere Sitten. Nach den doch recht anstrengenden Monaten, die hinter uns allen liegen, ist das verständlich. Auf andere Gedanken kommen. Keine Coronaverordnungen lesen. Keine Nachrichten sehen. Zu mir selbst finden. Oder: sich weitmöglichst ablenken lassen. Ich gebe es zu, dass in all meinen Gedanken der religiöse Kontext zunächst einmal keine Rolle spielt. Den muss mir ein Theologe aus dem vorletzten Jahrhundert in Erinnerung rufen. Der Däne Sören Kierkegaard (1813-1855). Er sagt: „Gott nötig haben, ist des Menschen höchste Vollkommenheit“.

Fein, denke ich. So wäre mir das jetzt - mitten im Sommer 2020 - nicht eingefallen. Habe ich Gott nötig? So wie das tägliche Brot, die Ärzte, stabile Gesundheit, gute Luft, treue Freude, Familie und meine Arbeit?

Ich weiß nur, dass Gott mich nicht nötig hat. Keinen Menschen vermutlich. Aber umgekehrt ist es doch so. Wer hat die Erde so gemacht, wie sie ist? Wer hat mir - ganz unverdient - das Lebens-Notwendigste als Geschenk gegeben? Wem verdanke ich meine Geisteskraft oder die immer wieder neu wachsende Zuversicht auf eine gute Zukunft? Mir selbst jedenfalls nicht. Mit meiner eigenen Vortrefflichkeit ist es nicht weit her. Natürlich habe ich Gott nötig. Zum Leben, zur Hoffnung, zu einem festen Glauben, der auch den todbringenden Mächten etwas entgegen setzen kann. Ob darin die Vollkommenheit liegt, von der Kierkegaard spricht, weiß ich nicht. Muss ich auch nicht, denn darüber wird irgendwann ein ganz anderer entscheiden. Gewiss ist mir, dass ich dann allerdings eines ganz sicher nötig habe: Gottes Barmherzigkeit.

Pfarrer Dr. Gernot Schulze-Wegener, Auggen

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