Morgestraich

Mir ist kalt, trotz der vielen Menschen um mich herum. Langsam steigt die Kälte durch die Sohlen und die Wollsocken meine Beine herauf. Die ganze Stadt ist abgedunkelt, Schaufenster und Straßenlaternen ausgeschaltet. Zusammen mit tausenden Menschen stehe ich morgens um vier Uhr in der Basler Innenstadt. Und warte. Alle anderen warten auch, auf den Beginn des Basler Morgenstreichs, den großen Fastnachtsumzug. Irgendwann höre ich die ersten Töne, sehe eine Gruppe Pfeifer an mir vorbeimarschieren, sehe die beleuchteten Lampions und Wagen der einzelnen Musikvereine.

Kalt, dunkel, in Wartestellung – so fühlt sich der Februar an. Das Kirchenjahr feiert den soundsovielten Sonntag nach Epiphanias, Ferien sind keine in Sicht und auf Arbeit läuft alles seinen Gang.

Kalt, dunkel, in Wartestellung – auch die Natur fühlt sich so. Der Schnee ist fort, der Frühling noch nicht da und die Felder bieten dem Auge wenig Sehenswertes. Hin und wieder ein Vogel, eine Blüte. Lebendigkeit sieht anders aus.

Ich stapfe herum, vertreibe die Kälte aus den Gliedern. Die Musikkapellen ziehen durchs dunkle Basel und ich ziehe hinterher. Endlich hat das Warten ein Ende! Kostümiert und ausgelassen feiern die Basler ihren Morgenstreich, setzen dem Dunkel und der Kälte Lärm und Musik entgegen. Mit großem Schwung soll etwas Neues beginnen.

In der Gemeinde erlebe ich das anders. Auch hier warte ich. Doch statt des großen Radaus beginnt die Passionszeit; das Warten wird verlängert, ausgedehnt. Ich warte in Gesellschaft, nicht allein. Ich lerne, bewusst zu warten: Ungeduld gehört dazu und Vorfreude. Worauf warte ich denn? Fastnacht und Schützenfest; Frühling und Gartenarbeit; Karfreitag und Ostern. Auch Jesus wird gefragt: „Bist du es, von dem alle reden oder sollen wir auf einen anderen warten?“ Er antwortet nicht mit Ja oder Nein, sondern mit der Aufforderung: „Berichtet, was ihr gesehen und gehört habt. Erzählt davon, was hier geschieht.“ „Dann“ – so lese ich zwischen den Zeilen – „werdet ihr entscheiden können, ob sich das Warten auf mich gelohnt hat.“

Eine gesegnete Wartezeit wünscht
Ihr Philipp van Oorschot, Pfarrer in Kirchzarten

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